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Neue Erkenntnisse durch die archäologischen Grabungen beim Altdorfer Gemeindehaus

6. September 2019

Mit der neuen Wohnüberbauung «In den Gassen» wird zurzeit in Altdorf das Areal rund um die Villa «Winterberg» verdichtet. Mit den baubegleitenden archäologischen Grabungen auf dem Gemeindehaus-Parkplatz in diesem Frühjahr, veranlasst von der Denkmalpflegefachstelle der Justizdirektion Uri, konnten erstmals Reste des frühmittelalterlichen Dorfes freigelegt und untersucht werden. Damit bestätigt sich einerseits die Vermutung, dass sich in Nähe der Kirche St. Martin und dem mittelalterlichen Wohnturm Winterberg das älteste Siedlungsareal von Altdorf befunden hat. Andererseits erweitert es unser Bild des Dorfes, wie es sich vor über 1'200 Jahren abzeichnete.

Der für dieses Areal überlieferte Flurname Sal, althochdeutsch für «Haus, Saal» deutete schon auf seine wichtige Bedeutung und sein über 1000-jähriges Alter hin. Der Ausdruck «Sal», in Uri einzig für diesen Standort überliefert, weist auf ein zentrales Saal-Haus, wohl auch auf die Sammelstelle für Erträgnisse der Landwirtschaft hin. Die Grösse des Areals lässt eine Deutung als Herrenhof zu. Schon 1969 legte man durch die Ausgrabungen in der Pfarrkirche St. Martin Gräber und Reste der ältesten Kirche frei, die von Siedlern des späten 7. Jahrhunderts n. Chr. stammten. Die Anfang dieses Jahres ausgeführten Aushubarbeiten für die Tiefgarage stiessen nun in über 1 Meter Tiefe auf einige Kleinfunde wie einer kaiserzeitlichen Gewandfibel, spätrömischen Münzen des 4. Jahrhunderts n. Chr. und einem frühmittelalterlichen Goldanhänger des 6. oder 7. Jahrhunderts.

Handwerk und Pfostenbau

Eine Besonderheit stellen dabei Reste einer Siedlung dar, die sich aus Gruben und Gräben zu erkennen gab. Ein dazugehöriges Bodenniveau war aufgrund jüngerer Bodenabträge nicht mehr erhalten. Die Gruben zeugen eventuell von handwerklichen Tätigkeiten wie der Eisenverarbeitung, was Abfälle in einer Grubenverfüllung andeuten. Etwas Besonderes stellt eine gerade verlaufende Grubenreihe dar. Sie stammt womöglich von einem Holzhaus, einem sogenannten Pfostenbau. Die Wände waren mit in regelmässigen Abständen im Boden versenkten Pfosten erstellt und dazwischen mit Lehmfachwerk oder Bohlen ausgefüllt worden. Für eine bessere Datierung dieser Strukturen wurden die in den Grubenverfüllungen eingelagerten Funde wie Tierknochen und Holzkohlefragmente analysiert. Der in den Proben eingeschlossene Kohlenstoff C14 wurde im Labor extrahiert und über seinen Zerfallsprozess eine Halbwertszeit ermittelt. Die daraus gewonnenen Werte zeigen eine Verfüllung der Gruben im 8. oder 9. Jahrhundert n. Chr. an. Der Pfostenbau scheint also in karolingischer Zeit aufgegeben worden zu sein.

Damit datieren die Funde aus der Zeit, aus der die ältest bekannte Urkunde aus dem Jahr 857 von der Fraumünsterabtei Zürich, der damaligen Landbesitzerin des unteren Reusstals, stammt. Ob die Auflassung des Pfostenbaus im Zusammenhang mit der Einsetzung der neuen Landeigentümerin zu verstehen ist, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt ohne weitere Nachforschungen allerdings Spekulation.

Keller als Hinweis für den zunehmenden Warenverkehr

Jahrhunderte später entstanden auf dem Areal die ersten Steinbauten, so der Wohnturm, der zu Beginn des 14. Jahrhundert mit der Familie Winterberg in Zusammenhang gebracht wird. Daneben liess man kellerartig eingetiefte Bauten rund um den Wohnturm bis in die Neuzeit erbauen. Die sechs bislang aus der Grabung bekannten Keller, darunter ein als Kühlkeller eingetiefter Rundbau, scheinen auf die Lagerung von grösseren Gütermengen hinzuweisen. Ob dies mit dem zunehmenden Handelsverkehr über den Gotthardpass in Zusammenhang stand, bleibt der künftigen Auswertung der archäologischen und historischen Quellen vorbehalten.

Veränderung eines Dorfbildes

Das heutige Siedlungsbild liess die reichhaltige bauliche Vergangenheit dieses Areals vor dem Bau der neuen Wohngebäude «In den Gassen» kaum mehr erahnen. Ursache war der Dorfbrand von 1799, der das damalige Altdorfer Dorfbild erheblich verändert hatte. Mit dem Bau des alten Schulhauses, dem heutigen Gemeindehaus, sowie des Gasthauses Tell prägen neben der Villa Winterberg Bauten des frühen 19. Jahrhunderts das Bild, wie es für den Altdorfer Ortskern typisch ist.

 

Auskunft für Medienschaffende gibt Christian Auf der Maur, archäologischer Gutachter des Kantons (archaeologie@ur.ch, 077 423 40 38).

 

Bild 2
Drohnenfoto des spätmittelalterlichen, quadratischen Kellers mit Lehmboden, der auf dem Gelände des Parkplatzes vom Gemeindehaus zum Vorschein kam. Oben ist die Fassade der Villa Winterberg erkennbar. Unter der Stiege sind die Wangenmauern eines möglichen Eingangs ins EG sichtbar. Oben setzt ein jüngerer, nachträglich eingebauter Kellerzugang an, der eine ältere, innen liegende Kellertreppe ersetzt haben könnte (Foto ProSpect GmbH)
Bild 3
Eine Grabungsmitarbeiterin dokumentiert eine Baugrubenwand, um die Strukturen und Schichten in ihrer zeitlichen Abfolge für eine spätere Auswertung festzuhalten (Foto ProSpect GmbH)

 

Grabungsmitarbeiterin Bea Koens zeigt den von ihr gefundenen, frühmittelalterlichen Goldanhänger (Foto Bea Koens).
Grabungsmitarbeiterin Bea Koens zeigt den von ihr gefundenen, frühmittelalterlichen Goldanhänger (Foto Bea Koens).

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