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Gedenkfeier für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen

25. Oktober 2019

Seit einigen Jahren werden die Schattenseiten der Geschichte des schweizerischen Sozialstaats verstärkt aufgearbeitet. Denn oft war und ist Hilfe von Repression und Kriminalisierung flankiert. Die Forschung spricht diesbezüglich von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Dieser Sammelbegriff bezeichnet die Fremdplatzierung von Kindern in Heimen, bei Pflegefamilien oder an Dienstplätze, die administrative Versorgung Jugendlicher und Erwachsener in Erziehungs- und Arbeitsanstalten, Entmündigungen oder (Zwangs-)Sterilisationen. Entsprechende Massnahmen wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre angewandt, teilweise und in abgeschwächter Form auch darüber hinaus. Sozialstaatliche und polizeiliche Akteure sanktionierten nicht konforme Lebensweisen, ohne dass die Betroffenen - unverheiratete Mütter, «Vaganten» und zahllose andere Menschen, die nicht den sozialen Normen entsprachen - Rechtsschutz in Anspruch nehmen konnten. Um die Unterschichten zu kontrollieren und zu disziplinieren, wurden bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz zehntausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus ihrem Umfeld gerissen, in Anstalten und Gefängnissen eingesperrt und als billige Arbeitskräfte verdingt. Der Sozialstaat sorgte vor und kümmerte sich, aber er schloss auch aus - mit massiven psychischen wie auch ökonomischen Folgen für die Betroffenen.

2014 beauftragte der Bund eine unabhängige Expertenkommission mit der Erforschung der administrativen Versorgung. 2017 trat das Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 in Kraft. Das Gesetz sieht vor, dass Betroffene einen Solidaritätsbeitrag erhalten, dass die Thematik wissenschaftlich aufgearbeitet wird, und dass Zeichen der Erinnerung geschaffen werden. Seither ist einiges getan worden, um dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte zu erforschen. Über die Praxis fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Raum Uri herrscht jedoch weitgehende Unklarheit. Im Zuge der Solidaritätszahlungen des Bunds behandelte das Staatsarchiv Uri 25 Gesuche von Betroffenen. Aufgrund des Vergleichs mit anderen Kantonen und dem historischen Wissensstand muss jedoch von einer wesentlich höheren Zahl von Betroffenen ausgegangen werden. Der Regierungsrat unterstützt deshalb ein Studie des historischen Vereins, die aufgrund historischer Quellen im Staatsarchiv und in den Gemeindearchiven die Dimension und Formen von Zwangsmassnahmen in Uri umfassend darstellt. Eine solche Arbeit schafft gesellschaftliches Bewusstsein und setzt ein wichtiges Zeichen der Anerkennung an die Betroffenen und deren Nachkommen.

Um diese Anerkennung öffentlich auszusprechen, wird der Urner Regierungsrat einen Gedenkanlass für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen durchführen und eine bleibende Gedenkstätte einrichten. Der Gedenkanlass findet am 6. November im Anschluss an die Urner Sozialkonferenz in Erstfeld statt. Die Historikerin Dr. Tanja Rietmann wird die Hintergründe und die Praxis von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen in der Schweiz ausleuchten. Im Anschluss berichten Evelyne Marciante und Claudia Jauch von der Opferhilfestelle Uri/Schwyz über die Erfahrungen in der Beratung von Betroffenen. Regierungsrätin Barbara Bär wird im Namen des Urner Regierungsrats eine offizielle Entschuldigung aussprechen und die Gedenkstätte an der Reuss einweihen.

Bei der Vorbereitung des Anlasses wurde der Urner Regierungsrat und das Amt für Soziales unterstützt von einer freiwilligen Arbeitsgruppe zum Thema Fürsorgerische Zwangsmassnahmen, die 2017 gegründet wurde.

Der Anlass findet wie folgt statt: Mittwoch, 6. November 2019, 17.00 bis 18.15 Uhr, Pfarreizentrum St. Josef, Schlossbergstrasse 13, 6472 Erstfeld. Im Anschluss findet ein Apéro statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Anmeldung unter ds.gsud@ur.ch oder 041 875 2151.

Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion

Rückfragen von Medienschaffenden: Regierungsrätin Barbara Bär, Telefon +41 41 875 2159, E-Mail Barbara.Baer@ur.ch

Gedenkstätte Opfer Zwangsmassnahmen
Gedenkstätte Opfer Zwangsmassnahmen

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