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Antibiotika Awareness Woche 2018
«Antibiotika: Es braucht auch eine bessere Information der Patientinnen und Patienten»
Antibiotika sind in der Human- und der Veterinärmedizin für die Behandlung bakterieller Erkrankungen unersetzlich. Doch der übermässige und teils unsachgemässe Einsatz von Antibiotika hat dazu geführt, dass immer mehr Bakterien gegen Antibiotika resistent werden. Die Schweiz ist gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft gefordert, die Entstehung neuer Resistenzen zu verhindern und deren Übertragung und Verbreitung einzuschränken.
Vom 12. bis 18. November 2018 rufen nationale und internationale Organisationen erneut zur «World Antibiotic Awareness Week» auf, um das Bewusstsein für Antibiotikaresistenz in der Öffentlichkeit, bei Fachpersonen und bei politischen Entscheidungsträgern zu fördern. Auch die Urner Gesundheitsdirektion beteiligt sich an der Aktionswoche.
Dr. med. Jürg Bollhalder praktiziert seit 2007 als Hausarzt in Altdorf. Seit dem 1. September 2018 ist Jürg Bollhalder auch neuer Urner Kantonsarzt. Im Rahmen der Antibiotika Awareness Woche 2018 beantwortet er Fragen zur Behandlung mit Antibiotika-Medikamenten und Antibiotikaresistenzen.
Was bedeutet eine Antibiotika- Resistenz für eine Patientin oder einen Patienten?
Jürg Bollhalder: Bei den meisten bakteriellen Infektionen werden in erster Linie sogenannte Breitbandantibiotika eingesetzt. Also Antibiotika, die erfahrungsgemäss gegen die meisten der zirkulierenden Bakterien wirken, welche eine Krankheit verursachen.
Hat die Patientin oder der Patient eine Infektion mit einem resistenten Erreger, wirken diese Medikamente dementsprechend nicht und die Infektion verschlimmert sich weiter. Dieser Umstand kann bis dahin führen, dass die Patientin oder der Patient im Endeffekt trotz hochspezialisierter Medizin dann an diesem Infekt verstirbt. Aktuell sterben weltweit schätzungsweise 1 Million Menschen jährlich an solchen Infekten. Wissenschaftler gehen von einer deutlichen Zunahme dieser Zahl in den nächsten Jahren aus.
Wie kommt es zu einer Antibiotikaresistenz?
Jürg Bollhalder: Ein besseres Beispiel für Evolution gibt es kaum: Ein hoher Selektionsdruck durch überreichlich vorhandene Antibiotika lässt jene Bakterien überleben, denen dank einer Mutation, also einer zufälligen Erbgutveränderung, der Wirkstoff nichts mehr anhaben kann. Diese Bakterien «überleben» und vermehren sich weiter. Erschwerend kommt hinzu, dass Bakterien ihre erworbenen Resistenzen untereinander auch austauschen können. Das heisst, dann reagieren auch andere Bakterienarten nicht mehr auf das Antibiotikum.
Gibt es auch in Uri Fälle von Antibiotika-Resistenzen?
Jürg Bollhalder: In den Urner Hausarztpraxen sind wir kaum mit diesem Problem konfrontiert, da die «komplexeren Fälle» im Spital behandelt werden. Im Kantonsspital Uri sind die behandelnden Ärztinnen und Ärzte aber immer wieder mit dem Problem von multiresistenten Erregern konfrontiert. Insbesondere Personen, die im Ausland hospitalisiert waren, können immer wieder resistente Bakterien mit sich tragen. Sie müssen aus diesem Grund isoliert werden, um eine weitere Übertragung zu verhindern.
Was müssen Sie als Hausarzt bei einer Behandlung mit Antibiotika beachten?
Jürg Bollhalder: Als erstes muss ich mir immer die Frage stellen, ob das überhaupt ein bakterieller Infekt ist. Bei Atemwegsinfektionen ist zum Beispiel nur 1 von 10 Fällen bakteriell bedingt. Sobald ich die Infektion als bakteriell beurteile, gilt es, das richtige Antibiotikum in der richtigen Dosierung während genügend langer Zeit zu verabreichen.
Was muss eine Patientin oder ein Patient beachten bzw. was kann jede Person gegen die weitere Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen beitragen?
Jürg Bollhalder: Die wichtigste Botschaft scheint mir, dass die meisten Infektionen durch Viren verursacht sind und damit ohne Antibiotika abheilen. Denn die Antibiotika wirken nur bei bakteriellen Infekten. Bei der Beurteilung, ob ein Antibiotikum nötig ist oder nicht, sollte den behandelnden Ärztinnen oder Ärzten vertraut werden. Ganz wichtig ist, dass das Antibiotikum genau nach den Angaben der Ärztin oder des Arztes eingenommen wird.
Antibiotika - Das Wichtigste auf einen Blick
Antibiotika sind Medikamente, die Bakterien abtöten oder deren Wachstum hemmen. Sie werden bei Mensch und Tier für die Behandlung von bakteriellen Infektionen verwendet. Verschiedene Erkrankungen benötigen unterschiedliche Antibiotika. Gegen Viren (z.B. Erkältung) sind Antibiotika wirkungslos.
Wenn Antibiotika nicht mehr wirken
Antibiotikaresistenz bedeutet, dass Bakterien weniger oder gar nicht mehr auf Antibiotika ansprechen. Der falsche oder zu häufige Einsatz von Antibiotika kann zu solchen Resistenzen führen. Resistente Bakterien können auf andere Menschen übertragen werden. Die Zahl der Antibiotikaresistenzen nimmt weltweit zu und verstärkt das Risiko, dass bei Menschen und Tieren durch Bakterien verursachte Infektionen nur schwer oder nicht mehr behandelt werden können. Auch in der Schweiz werden jedes Jahr Menschen und Tiere durch Bakterien infiziert, gegen die Antibiotika nichts mehr ausrichten können.
Nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR)
An den Folgen resistenter Bakterien sterben in der Schweiz jedes Jahr mehrere hundert Menschen. Die EU schätzt die Zahl der Toten auf 25’000 pro Jahr, weltweit sind es laut WHO 700’000. Oberstes Ziel der nationalen Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) ist es, die Wirksamkeit von Antibiotika für Mensch und Tier langfristig zu erhalten. Die Strategie, die vom Bundesrat im November 2015 verabschiedet wurde, zeigt auf, wo in der Schweiz Handlungsbedarf besteht, welche Ziele erreicht werden sollen und welche Massnahmen für die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen nötig sind. Ihr Ansatz ist umfassend; das Problem betrifft die Humanmedizin ebenso wie die Tiermedizin, die Landwirtschaft und die Umwelt. Zu den zentralen Massnahmen gehören der Ausbau der Datenerhebung, das Formulieren von Verschreibungsrichtlinien und Präventionsmassnahmen zur Vermeidung von Infektionen, damit Antibiotika gar nicht erst eingesetzt werden müssen.
Die Bundesämter für Gesundheit (BAG), Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Landwirtschaft (BLW) und Umwelt (BAFU) setzen die Strategie Antibiotikaresistenzen in Zusammenarbeit mit den betroffenen Akteuren schrittweise um.
Rückfragen von Medienschaffenden: Dr. med. Jürg Bollhalder, Kantonsarzt, Telefon: +41 41 875 0025; Mail: kantonsarzt@ur.ch
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Faktenblatt des BAG zu Antibiotikaresistenzen (PDF, 1.7 MB) | Download | 0 | Faktenblatt des BAG zu Antibiotikaresistenzen |
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Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion | +41 41 875 2430 | ds.gsud@ur.ch |